Zweigstellen von Kreditinstituten aus Drittstaaten: Genehmigungsverfahren
- Erika Leitgeb
- 4. Nov.
- 6 Min. Lesezeit
Die Europäische Union hat am 19. Juni 2024 die Richtlinie (EU) 2024/1619 (CRD VI) im Amtsblatt veröffentlicht, die erstmals einheitliche Regelungen für die Zulassung und Beaufsichtigung von Zweigstellen aus Drittstaaten einführt. Diese Richtlinie ist bis zum 11. Januar 2026 in nationales Recht umzusetzen und stellt einen wichtigen Schritt zur Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes dar.

Hintergrund und Zielsetzung der Neuregelung
Bisher waren die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Zweigstellen von Kreditinstituten aus Drittstaaten in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt. Während einige Länder wie Deutschland bereits strenge Anforderungen stellten und Drittstaatenzweigstellen faktisch wie eigenständige Kreditinstitute behandelten, gab es in anderen Mitgliedstaaten nur minimale Vorgaben. Die CRD VI schafft nun einen einheitlichen Mindeststandard für den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum.
Die neue Regelung verfolgt mehrere Ziele:
Beseitigung von Aufsichtsarbitrage zwischen den Mitgliedstaaten
Sicherstellung einer wirksamen Beaufsichtigung von Drittstaatenbanken im EWR
Stärkung der Finanzstabilität und Marktintegrität
Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer
Anwendungsbereich: Welche Zweigstellen sind betroffen?
Die neuen Regelungen gelten für Drittstaatenunternehmen, die im EWR Kernbankdienstleistungen erbringen möchten. Zu diesen Kernbankdienstleistungen zählen insbesondere:
Annahme von Einlagen und anderen rückzahlbaren Geldern
Vergabe von Krediten (einschließlich Verbraucherkrediten und Immobiliarkrediten)
Factoring und Finanzierung von Handelsgeschäften
Bereitstellung von Bürgschaften und Zusicherungen
Erfasst werden Unternehmen mit einer konsolidierten Bilanzsumme von mindestens 30 Milliarden Euro, die ohne Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft im EWR nicht mehr tätig werden dürfen. Ausgenommen sind reine Interbankenverhältnisse, Geschäfte innerhalb einer Gruppe sowie die sogenannte "reverse solicitation" (passive Dienstleistungsfreiheit), bei der der Kunden von sich aus das Drittstaatenunternehmen kontaktiert.
Das Genehmigungsverfahren im Detail
Antragstellung und erforderliche Unterlagen
Drittstaatenbanken müssen bei der zuständigen Aufsichtsbehörde des jeweiligen Mitgliedstaates einen schriftlichen Antrag auf Zulassung ihrer Zweigstelle stellen. Der Antrag muss umfassende Informationen enthalten, darunter:
Detaillierte Angaben zum Hauptunternehmen im Drittstaat
Geschäftsplan für die geplanten Aktivitäten der Zweigstelle
Organisatorische Struktur und interne Governance
Angaben zu den verantwortlichen Geschäftsleitern
Finanzielle Informationen und Kapitalausstattung
Die EBA soll gemäß Artikel 48m CRD VI standardisierte Formvorlagen für die Antragstellung entwickeln, um das Verfahren zu vereinheitlichen und zu erleichtern.
Prüfung und Einstufung der Zweigstelle
Die zuständige Aufsichtsbehörde hat die eingereichten Unterlagen zu prüfen und die Zweigstelle in eine von zwei Kategorien einzustufen. Diese risikobasierte Klassifizierung ist entscheidend für den Umfang der aufsichtsrechtlichen Anforderungen.
Klasse 1 (höheres Risiko):
Eine Zweigstelle wird der Klasse 1 zugeordnet, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:
Gesamtwert der Aktiva übersteigt 5 Milliarden Euro
Einlagen von Privatkunden machen mehr als 5% der Verbindlichkeiten oder mehr als 50 Millionen Euro aus
Das Herkunftsland ist als Hochrisiko-Drittland bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eingestuft
Die Zweigstelle erfüllt nicht die Kriterien für eine qualifizierte Zweigstelle
Klasse 2 (geringeres Risiko):
In Klasse 2 werden kleine, nicht komplexe Zweigstellen eingestuft, die keine der Schwellenwerte von Klasse 1 überschreiten und aus Ländern mit äquivalenten Aufsichtsstandards stammen.
Qualifizierte Zweigstellen und Äquivalenzprüfung
Ein besonderes Konzept sind die sogenannten qualifizierten Zweigstellen gemäß Artikel 48b CRD VI. Eine Zweigstelle erhält diesen Status, wenn:
Das Herkunftsland über aufsichtsrechtliche Standards verfügt, die mit CRD und CRR mindestens gleichwertig sind
Die Aufsichtsbehörden des Drittstaates Vertraulichkeitsanforderungen unterliegen, die denen der CRD VI entsprechen
Das Land nicht als Hochrisiko-Drittland bei der Bekämpfung von Geldwäsche geführt wird
Die Europäische Kommission beurteilt die Gleichwertigkeit der Aufsichtsstandards, und die EBA führt ein öffentliches Register der gleichwertigen Drittstaaten. Zweigstellen aus gleichwertigen Ländern können von bestimmten Anforderungen, insbesondere bei der Liquidität, befreit werden.
Aufsichtsrechtliche Anforderungen an Zweigstellen
Kapitalanforderungen
Zweigstellen aus Drittstaaten müssen über ausreichendes Kapital verfügen, das ihrer Risikoposition angemessen ist. Die Artikel 48e bis 48i CRD VI enthalten spezifische Vorgaben zu:
Mindestkapitalanforderungen (abhängig von der Klassifizierung)
Qualität der zulässigen Kapitalinstrumente
Laufende Überwachung der Kapitalausstattung
Für Zweigstellen der Klasse 1 gelten strengere Anforderungen als für jene der Klasse 2.
Liquiditätsanforderungen
Die Zweigstellen müssen angemessene Liquiditätsreserven vorhalten, um jederzeit ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. Qualifizierte Zweigstellen können unter bestimmten Voraussetzungen von detaillierten Liquiditätsvorschriften befreit werden, wenn das Hauptunternehmen im Drittstaat bereits einer gleichwertigen Liquiditätsaufsicht unterliegt.
Governance und Risikomanagement
Wesentliche Anforderungen bestehen in Bezug auf:
Interne Verwaltungsstrukturen und klare Verantwortlichkeiten
Risikomanagement-Systeme und -Prozesse
Compliance-Funktion und interne Kontrollen
Mindestens zwei natürliche Personen mit Wohnsitz im jeweiligen Mitgliedstaat als Geschäftsleiter
Regelmäßige Berichterstattung an die Aufsichtsbehörden
Die EBA hat im August 2025 überarbeitete Leitlinien zur internen Governance zur Konsultation gestellt, die auch konkrete Vorgaben für Zweigstellen in Drittländern enthalten.
Buchführung und Meldewesen
Zweigstellen müssen eine gesonderte Buchführung führen und sind umfangreichen Meldepflichten unterworfen. Dazu gehören:
Regelmäßige Einreichung von Finanz- und Risikoberichten
Informationen über das Hauptunternehmen im Drittstaat
Angaben zu Kundenbeziehungen und Geschäftsaktivitäten
Meldungen bei wesentlichen Änderungen der Geschäftstätigkeit
Übergangsregelungen und Bestandsschutz
Die CRD VI sieht gewisse Übergangsregelungen vor. Artikel 48c Absatz 5 ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Zweigstellen, die ihre Zulassung mindestens 12 Monate vor Inkrafttreten der Neuregelungen erhalten haben, von der Pflicht zur erneuten Antragstellung auszunehmen. Dies muss jedoch noch durch die nationale Umsetzung konkretisiert werden.
Für bestehende Verträge zwischen Drittstaatenunternehmen und EU-Kunden, die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie geschlossen wurden, gilt ein Bestandsschutz. Diese Verträge können grundsätzlich fortgeführt werden, ohne dass sofort eine Zweigstelle eröffnet werden muss.
Möglichkeit der Umwandlung in eine Tochtergesellschaft
Bei Zweigstellen mit besonders hohem Risikoprofil oder sehr umfangreicher Geschäftstätigkeit können die nationalen Aufsichtsbehörden verlangen, dass anstelle einer Zweigstelle eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft im jeweiligen Mitgliedstaat gegründet wird. Dies ist insbesondere relevant, wenn:
Die konsolidierte Bilanzsumme 40 Milliarden Euro übersteigt
Die Geschäftsaktivitäten ein systemisches Risiko für den Finanzplatz darstellen
Eine effektive Beaufsichtigung der Zweigstelle nicht ausreichend gewährleistet werden kann
Die Entscheidung über eine solche Umwandlungspflicht liegt im Ermessen der nationalen Behörden und ist von den konkreten Umständen des Einzelfalls anhängig.
Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsbehörden
Die CRD VI betont die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten und den Behörden der Drittstaaten. Dies umfasst:
Regelmäßigen Informationsaustausch über beaufsichtigte Zweigstellen
Abschluss von Memoranda of Understanding (MoU) mit Drittstaatenbehörden
Koordinierung bei grenzüberschreitenden Aufsichtsmaßnahmen
Meldung aller Zulassungen von Drittstaatenzweigstellen an die EBA und die Kommission
Die EBA spielt eine zentrale Rolle bei der Koordinierung und stellt über ihr öffentliches Register Transparenz über zugelassene Zweigstellen und gleichwertige Drittstaaten her.
Auswirkungen auf den österreichischen und deutschen Bankenmarkt
Situation in Deutschland
Deutschland behandelt Zweigstellen ausländischer Banken bereits heute weitgehend wie eigenständige Kreditinstitute und verfügt über eine etablierte Praxis bei der Zulassung von Drittstaatenzweigstellen. Die BaFin wendet das Kreditwesengesetz (KWG) an, das in § 53 KWG spezielle Regelungen für Auslandszweigstellen enthält. Mit der Umsetzung der CRD VI werden die bestehenden deutschen Regelungen voraussichtlich weitgehend beibehalten und lediglich um die neuen EU-weiten Mindeststandards ergänzt.
Deutsche Aufsichtsbehörden müssen jedoch sicherstellen, dass:
Das Klassifizierungssystem für Zweigstellen implementiert wird
Die Äquivalenzprüfung gemäß den EBA-Registern durchgeführt wird
Die standardisierten Meldepflichten und Formvorlagen angewendet werden
Situation in Österreich
Auch in Österreich wird die FMA die neuen Vorgaben der CRD VI in nationales Recht umsetzen müssen. Für österreichische kleine und nicht komplexe Institute sind diese Regelungen primär relevant, wenn sie selbst planen, Auslandsaktivitäten über Zweigstellen in Drittstaaten zu entwickeln, oder wenn sie mit Drittstaatenbanken zusammenarbeiten.
Die harmonisierten Standards schaffen mehr Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen im gesamten EWR.
Zeitplan und nächste Schritte
Die wichtigsten Termine für die Umsetzung sind:
9. Juli 2024: Inkrafttreten der CRD VI auf EU-Ebene
11. Januar 2026: Frist für die Umsetzung in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten
11. Juli 2026: Anwendung bestimmter Sonderregelungen (z.B. Artikel 21c Absatz 5)
Bis zur vollständigen Umsetzung sollten Drittstaatenbanken, die im EWR tätig sind oder werden möchten:
Ihre bestehenden Strukturen und Genehmigungen überprüfen
Die Klassifizierung ihrer Zweigstellen analysieren
Erforderliche Anpassungen an Governance und Risikomanagement vorbereiten
Kontakt mit den zuständigen Aufsichtsbehörden aufnehmen
Die Entwicklung der EBA-Formvorlagen und -Leitlinien verfolgen
💡 Hinweis für kleine Institute:
Auch wenn Sie selbst keine Zweigstellen aus Drittstaaten betreiben, sollten Sie die neuen Regelungen kennen, da sie die Wettbewerbssituation im europäischen Bankenmarkt verändern und auch Auswirkungen auf Geschäftsbeziehungen mit Drittstaatenbanken haben können. Die Harmonisierung führt zu mehr Transparenz und vergleichbaren Aufsichtsstandards, was letztlich allen Marktteilnehmern zugutekommt. Beobachten Sie insbesondere die Entwicklung des EBA-Registers für gleichwertige Drittstaaten, da dies Aufschluss über die Zuverlässigkeit der Aufsicht in verschiedenen Ländern gibt.
Quelle / Eckdaten
👉 Link zum Dokument | |
📅 Veröffentlichung | 19. Juni 2024 |
Art des Dokuments | Richtlinie |
Herausgeber | Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union |
⚖️ Rechtsgrundlage | Änderung der Richtlinie 2013/36/EU (CRD IV) |
Adressaten | Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des EWR; Kreditinstitute; Zweigstellen von Drittstaatenbanken; Aufsichtsbehörden |
✅ Status | In Kraft getreten am 9. Juli 2024; Umsetzungsfrist bis 11. Januar 2026 |
📅 Datum Erstanwendung | 11. Januar 2026 (nach Umsetzung in nationales Recht); einzelne Bestimmungen gelten ab 11. Juli 2026 |



