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Zweigstellen von Kreditinstituten aus Drittstaaten: Genehmigungsverfahren

Die Europäische Union hat am 19. Juni 2024 die Richtlinie (EU) 2024/1619 (CRD VI) im Amtsblatt veröffentlicht, die erstmals einheitliche Regelungen für die Zulassung und Beaufsichtigung von Zweigstellen aus Drittstaaten einführt. Diese Richtlinie ist bis zum 11. Januar 2026 in nationales Recht umzusetzen und stellt einen wichtigen Schritt zur Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes dar.

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Hintergrund und Zielsetzung der Neuregelung

Bisher waren die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Zweigstellen von Kreditinstituten aus Drittstaaten in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt. Während einige Länder wie Deutschland bereits strenge Anforderungen stellten und Drittstaatenzweigstellen faktisch wie eigenständige Kreditinstitute behandelten, gab es in anderen Mitgliedstaaten nur minimale Vorgaben. Die CRD VI schafft nun einen einheitlichen Mindeststandard für den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum.

Die neue Regelung verfolgt mehrere Ziele:

  • Beseitigung von Aufsichtsarbitrage zwischen den Mitgliedstaaten

  • Sicherstellung einer wirksamen Beaufsichtigung von Drittstaatenbanken im EWR

  • Stärkung der Finanzstabilität und Marktintegrität

  • Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer

Anwendungsbereich: Welche Zweigstellen sind betroffen?

Die neuen Regelungen gelten für Drittstaatenunternehmen, die im EWR Kernbankdienstleistungen erbringen möchten. Zu diesen Kernbankdienstleistungen zählen insbesondere:

  • Annahme von Einlagen und anderen rückzahlbaren Geldern

  • Vergabe von Krediten (einschließlich Verbraucherkrediten und Immobiliarkrediten)

  • Factoring und Finanzierung von Handelsgeschäften

  • Bereitstellung von Bürgschaften und Zusicherungen

Erfasst werden Unternehmen mit einer konsolidierten Bilanzsumme von mindestens 30 Milliarden Euro, die ohne Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft im EWR nicht mehr tätig werden dürfen. Ausgenommen sind reine Interbankenverhältnisse, Geschäfte innerhalb einer Gruppe sowie die sogenannte "reverse solicitation" (passive Dienstleistungsfreiheit), bei der der Kunden von sich aus das Drittstaatenunternehmen kontaktiert.

Das Genehmigungsverfahren im Detail

Antragstellung und erforderliche Unterlagen

Drittstaatenbanken müssen bei der zuständigen Aufsichtsbehörde des jeweiligen Mitgliedstaates einen schriftlichen Antrag auf Zulassung ihrer Zweigstelle stellen. Der Antrag muss umfassende Informationen enthalten, darunter:

  • Detaillierte Angaben zum Hauptunternehmen im Drittstaat

  • Geschäftsplan für die geplanten Aktivitäten der Zweigstelle

  • Organisatorische Struktur und interne Governance

  • Angaben zu den verantwortlichen Geschäftsleitern

  • Finanzielle Informationen und Kapitalausstattung

Die EBA soll gemäß Artikel 48m CRD VI standardisierte Formvorlagen für die Antragstellung entwickeln, um das Verfahren zu vereinheitlichen und zu erleichtern.

Prüfung und Einstufung der Zweigstelle

Die zuständige Aufsichtsbehörde hat die eingereichten Unterlagen zu prüfen und die Zweigstelle in eine von zwei Kategorien einzustufen. Diese risikobasierte Klassifizierung ist entscheidend für den Umfang der aufsichtsrechtlichen Anforderungen.

Klasse 1 (höheres Risiko):

Eine Zweigstelle wird der Klasse 1 zugeordnet, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:

  • Gesamtwert der Aktiva übersteigt 5 Milliarden Euro

  • Einlagen von Privatkunden machen mehr als 5% der Verbindlichkeiten oder mehr als 50 Millionen Euro aus

  • Das Herkunftsland ist als Hochrisiko-Drittland bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eingestuft

  • Die Zweigstelle erfüllt nicht die Kriterien für eine qualifizierte Zweigstelle

Klasse 2 (geringeres Risiko):

In Klasse 2 werden kleine, nicht komplexe Zweigstellen eingestuft, die keine der Schwellenwerte von Klasse 1 überschreiten und aus Ländern mit äquivalenten Aufsichtsstandards stammen.

Qualifizierte Zweigstellen und Äquivalenzprüfung

Ein besonderes Konzept sind die sogenannten qualifizierten Zweigstellen gemäß Artikel 48b CRD VI. Eine Zweigstelle erhält diesen Status, wenn:

  • Das Herkunftsland über aufsichtsrechtliche Standards verfügt, die mit CRD und CRR mindestens gleichwertig sind

  • Die Aufsichtsbehörden des Drittstaates Vertraulichkeitsanforderungen unterliegen, die denen der CRD VI entsprechen

  • Das Land nicht als Hochrisiko-Drittland bei der Bekämpfung von Geldwäsche geführt wird

Die Europäische Kommission beurteilt die Gleichwertigkeit der Aufsichtsstandards, und die EBA führt ein öffentliches Register der gleichwertigen Drittstaaten. Zweigstellen aus gleichwertigen Ländern können von bestimmten Anforderungen, insbesondere bei der Liquidität, befreit werden.

Aufsichtsrechtliche Anforderungen an Zweigstellen

Kapitalanforderungen

Zweigstellen aus Drittstaaten müssen über ausreichendes Kapital verfügen, das ihrer Risikoposition angemessen ist. Die Artikel 48e bis 48i CRD VI enthalten spezifische Vorgaben zu:

  • Mindestkapitalanforderungen (abhängig von der Klassifizierung)

  • Qualität der zulässigen Kapitalinstrumente

  • Laufende Überwachung der Kapitalausstattung

Für Zweigstellen der Klasse 1 gelten strengere Anforderungen als für jene der Klasse 2.

Liquiditätsanforderungen

Die Zweigstellen müssen angemessene Liquiditätsreserven vorhalten, um jederzeit ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. Qualifizierte Zweigstellen können unter bestimmten Voraussetzungen von detaillierten Liquiditätsvorschriften befreit werden, wenn das Hauptunternehmen im Drittstaat bereits einer gleichwertigen Liquiditätsaufsicht unterliegt.

Governance und Risikomanagement

Wesentliche Anforderungen bestehen in Bezug auf:

  • Interne Verwaltungsstrukturen und klare Verantwortlichkeiten

  • Risikomanagement-Systeme und -Prozesse

  • Compliance-Funktion und interne Kontrollen

  • Mindestens zwei natürliche Personen mit Wohnsitz im jeweiligen Mitgliedstaat als Geschäftsleiter

  • Regelmäßige Berichterstattung an die Aufsichtsbehörden

Die EBA hat im August 2025 überarbeitete Leitlinien zur internen Governance zur Konsultation gestellt, die auch konkrete Vorgaben für Zweigstellen in Drittländern enthalten.

Buchführung und Meldewesen

Zweigstellen müssen eine gesonderte Buchführung führen und sind umfangreichen Meldepflichten unterworfen. Dazu gehören:

  • Regelmäßige Einreichung von Finanz- und Risikoberichten

  • Informationen über das Hauptunternehmen im Drittstaat

  • Angaben zu Kundenbeziehungen und Geschäftsaktivitäten

  • Meldungen bei wesentlichen Änderungen der Geschäftstätigkeit

Übergangsregelungen und Bestandsschutz

Die CRD VI sieht gewisse Übergangsregelungen vor. Artikel 48c Absatz 5 ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Zweigstellen, die ihre Zulassung mindestens 12 Monate vor Inkrafttreten der Neuregelungen erhalten haben, von der Pflicht zur erneuten Antragstellung auszunehmen. Dies muss jedoch noch durch die nationale Umsetzung konkretisiert werden.

Für bestehende Verträge zwischen Drittstaatenunternehmen und EU-Kunden, die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie geschlossen wurden, gilt ein Bestandsschutz. Diese Verträge können grundsätzlich fortgeführt werden, ohne dass sofort eine Zweigstelle eröffnet werden muss.

Möglichkeit der Umwandlung in eine Tochtergesellschaft

Bei Zweigstellen mit besonders hohem Risikoprofil oder sehr umfangreicher Geschäftstätigkeit können die nationalen Aufsichtsbehörden verlangen, dass anstelle einer Zweigstelle eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft im jeweiligen Mitgliedstaat gegründet wird. Dies ist insbesondere relevant, wenn:

  • Die konsolidierte Bilanzsumme 40 Milliarden Euro übersteigt

  • Die Geschäftsaktivitäten ein systemisches Risiko für den Finanzplatz darstellen

  • Eine effektive Beaufsichtigung der Zweigstelle nicht ausreichend gewährleistet werden kann

Die Entscheidung über eine solche Umwandlungspflicht liegt im Ermessen der nationalen Behörden und ist von den konkreten Umständen des Einzelfalls anhängig.

Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsbehörden

Die CRD VI betont die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten und den Behörden der Drittstaaten. Dies umfasst:

  • Regelmäßigen Informationsaustausch über beaufsichtigte Zweigstellen

  • Abschluss von Memoranda of Understanding (MoU) mit Drittstaatenbehörden

  • Koordinierung bei grenzüberschreitenden Aufsichtsmaßnahmen

  • Meldung aller Zulassungen von Drittstaatenzweigstellen an die EBA und die Kommission

Die EBA spielt eine zentrale Rolle bei der Koordinierung und stellt über ihr öffentliches Register Transparenz über zugelassene Zweigstellen und gleichwertige Drittstaaten her.

Auswirkungen auf den österreichischen und deutschen Bankenmarkt

Situation in Deutschland

Deutschland behandelt Zweigstellen ausländischer Banken bereits heute weitgehend wie eigenständige Kreditinstitute und verfügt über eine etablierte Praxis bei der Zulassung von Drittstaatenzweigstellen. Die BaFin wendet das Kreditwesengesetz (KWG) an, das in § 53 KWG spezielle Regelungen für Auslandszweigstellen enthält. Mit der Umsetzung der CRD VI werden die bestehenden deutschen Regelungen voraussichtlich weitgehend beibehalten und lediglich um die neuen EU-weiten Mindeststandards ergänzt.

Deutsche Aufsichtsbehörden müssen jedoch sicherstellen, dass:

  • Das Klassifizierungssystem für Zweigstellen implementiert wird

  • Die Äquivalenzprüfung gemäß den EBA-Registern durchgeführt wird

  • Die standardisierten Meldepflichten und Formvorlagen angewendet werden

Situation in Österreich

Auch in Österreich wird die FMA die neuen Vorgaben der CRD VI in nationales Recht umsetzen müssen. Für österreichische kleine und nicht komplexe Institute sind diese Regelungen primär relevant, wenn sie selbst planen, Auslandsaktivitäten über Zweigstellen in Drittstaaten zu entwickeln, oder wenn sie mit Drittstaatenbanken zusammenarbeiten.

Die harmonisierten Standards schaffen mehr Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen im gesamten EWR.

Zeitplan und nächste Schritte

Die wichtigsten Termine für die Umsetzung sind:

  • 9. Juli 2024: Inkrafttreten der CRD VI auf EU-Ebene

  • 11. Januar 2026: Frist für die Umsetzung in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten

  • 11. Juli 2026: Anwendung bestimmter Sonderregelungen (z.B. Artikel 21c Absatz 5)

Bis zur vollständigen Umsetzung sollten Drittstaatenbanken, die im EWR tätig sind oder werden möchten:

  • Ihre bestehenden Strukturen und Genehmigungen überprüfen

  • Die Klassifizierung ihrer Zweigstellen analysieren

  • Erforderliche Anpassungen an Governance und Risikomanagement vorbereiten

  • Kontakt mit den zuständigen Aufsichtsbehörden aufnehmen

  • Die Entwicklung der EBA-Formvorlagen und -Leitlinien verfolgen

💡 Hinweis für kleine Institute:

Auch wenn Sie selbst keine Zweigstellen aus Drittstaaten betreiben, sollten Sie die neuen Regelungen kennen, da sie die Wettbewerbssituation im europäischen Bankenmarkt verändern und auch Auswirkungen auf Geschäftsbeziehungen mit Drittstaatenbanken haben können. Die Harmonisierung führt zu mehr Transparenz und vergleichbaren Aufsichtsstandards, was letztlich allen Marktteilnehmern zugutekommt. Beobachten Sie insbesondere die Entwicklung des EBA-Registers für gleichwertige Drittstaaten, da dies Aufschluss über die Zuverlässigkeit der Aufsicht in verschiedenen Ländern gibt.

Quelle / Eckdaten

👉 Link zum Dokument

📅 Veröffentlichung

19. Juni 2024

Art des Dokuments

Richtlinie

Herausgeber

Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union

⚖️ Rechtsgrundlage

Änderung der Richtlinie 2013/36/EU (CRD IV)

Adressaten

Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des EWR; Kreditinstitute; Zweigstellen von Drittstaatenbanken; Aufsichtsbehörden

Status

In Kraft getreten am 9. Juli 2024; Umsetzungsfrist bis 11. Januar 2026

📅 Datum Erstanwendung

11. Januar 2026 (nach Umsetzung in nationales Recht); einzelne Bestimmungen gelten ab 11. Juli 2026


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