Wie wirksam ist die Bankenaufsicht?
- Erika Leitgeb
- 23. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Das Basler Komitee für Bankenaufsicht (BCBS) hat eine umfassende Literaturübersicht zur Wirksamkeit der Banken- und Finanzaufsicht veröffentlicht. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis aus der globalen Finanzkrise 2007-2008, dass nicht nur quantitative Vorgaben, sondern auch qualitativ fundierte, vorausschauende Aufsicht nötig sind, um Systemkrisen zu vermeiden. Die Studie greift auch aktuelle Entwicklungen wie die Bankenpleiten im März 2023 auf und analysiert bestehende Hindernisse für eine wirksame Aufsicht.

Kontext: Warum ist die Aufsichtswirksamkeit so wichtig?
Spätestens seit der globalen Finanzkrise ist klar: Qualitative Schwächen in Geschäftsmodellen, Risikokultur und Governance waren oft der Auslöser für Bankenpleiten. Viele dieser Faktoren können nicht allein durch harte regulatorische Kennzahlen erfasst werden - es braucht eine durchsetzungsfähige, risikobasierte und technologiegestützte Aufsicht.
Das Modell der "House of Effectiveness"
Die Publikation des BCBS nutzt ein anschauliches Modell zur Einordnung: das "House of Effectiveness", bestehend aus folgenden Komponenten:
Fundament: Ermöglichende und hemmende Faktoren
Die Basis der Aufsichtswirksamkeit bilden externe und interne Einflussfaktoren wie:
politisch-institutionelle Unabhängigkeit,
ausreichende Ressourcen und Fachkompetenz,
technologische Infrastruktur,
rechtlicher Rahmen für Eingriffe.
Drei Säulen: Die zentralen Aufsichtsinstrumente
Im Zentrum der Publikation steht die Frage, wie sich die Wirksamkeit der Bankenaufsicht konkret verbessern lässt. Das Basler Komitee identifiziert drei wesentliche Funktionsbereiche, die gemeinsam als "Säulen" der Aufsichtswirksamkeit beschrieben werden.
Risikobewertung und -identifikation
Die erste Säule betrifft die Fähigkeit der Aufsichtsbehörden, Risiken rechtzeitig zu erkennen und angemessen zu bewerten. Hierzu zählen Instrumente wie Stresstests, die Analyse von Geschäftsmodellen sowie die Nutzung moderner Datenanalyseverfahren. Ziel ist es, Schwachstellen im Risikomanagement von Banken frühzeitig zu identifizieren, bevor sie sich zu systemischen Problemen auswachsen können. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen hängt nicht nur von der Methodik ab, sondern auch von der Fähigkeit, diese Erkenntnisse konsequent in den Aufsichtsprozess zu integrieren.
Eingriffe und Durchsetzung
Die zweite Säule umfasst die Umsetzung konkreter Maßnahmen durch die Aufsichtsbehörden. Sobald Risiken erkannt wurden, ist es entscheidend, dass die Behörden rasch, entschlossen und rechtssicher handeln. Dazu gehören etwa die Anordnung von Kapitalmaßnahmen, Beschränkungen bei Ausschüttungen oder sogar Geschäftsmodellen, sowie im Extremfall der Entzug von Lizenzen. Die Studie betont, dass nicht nur die rechtlichen Befugnisse, sondern auch die tatsächliche Bereitschaft zum Handeln ausschlaggebend für eine effektive Aufsicht ist.
Zusammenarbeit und Transparenz
Die dritte Säule zeilt auf die institutionelle Einbettung der Aufsicht und deren Kommunikation. Eine effektive Aufsicht benötigt gut funktionierende Schnittstellen zu anderen Behörden - sowohl national als auch grenzüberschreitend. Zugleich ist die Transparenz gegenüber den beaufsichtigten Instituten ein zentrales Element, um Erwartungen klar zu kommunizieren, Vertrauen zu schaffen und eine konstruktive Aufsichtskultur zu fördern. Dies schließt auch die Zusammenarbeit mit Zentralbanken und makroprudenziellen Gremien mit ein, etwa im Krisenfall oder bei Systemrisiken.
Aufsichtskultur und Risikomanagement: Das "Dach" der Aufsichtswirksamkeit
Über den technischen und prozessualen Aspekten der Aufsicht steht ein übergreifendes Element, das in der Studie als "Dach" des sogenannten "House of Effectiveness" beschrieben wird: die Kultur der Aufsicht. Gemeint ist damit die Haltung, mit der Aufsichtsbehörden ihren Auftrag erfüllen, wie sie Risiken wahrnehmen und wie offen und lernfähig sie gegenüber neuen Entwicklungen sind.
Risikobasierte Aufsicht als Leitprinzip
Ein zentrales Element der Aufsichtskultur ist der risikobasierte Ansatz. Statt sämtliche Banken nach einem starren Raster zu überwachen, sollen Ressourcen gezielt dort eingesetzt werden, wo potenziell die größten Risiken für die Stabilität des Finanzsystems liegen. Dies setzt voraus, dass Risiken nicht nur auf Basis quantitativer Daten beurteilt werden, sondern auch qualitative Faktoren wie Governance, Risikokultur und strategische Ausrichtung Berücksichtigung finden. Die risikobasierte Aufsicht ist damit kein rein technisches Instrument, sondern Ausdruck einer aktiven, differenzierten Aufsichtskultur.
Bedeutung der Risikokultur in Aufsichtsbehörden
Die Studie hebt hervor, dass nicht nur die beaufsichtigten Institute eine gesunde Risikokultur pflegen müssen - auch die Aufsichtsbehörden selbst sind gefordert, ihre interne Kultur kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dazu gehört etwa der Umgang mit Unsicherheit, die Offenheit für kritische Diskussionen sowie die Fähigkeit unangenehme Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Eine effektive Aufsichtskultur fördert die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden, unterstützt unabhängige Urteilsfähigkeit und vermeidet politisch motivierte Zurückhaltung.
Der Drei-Linien-Ansatz in der Aufsicht
Als methodische Grundlage für das interne Risikomanagement von Aufsichtsbehörden wird in der Publikation das sogenannte "Three Lines of Defence"-Modell vorgestellt. Dieses Modell, das ursprünglich aus der Unternehmenspraxis stammt, wird hier auf die behördliche Aufsicht übertragen. Es unterscheidet zwischen operativer Aufsichtsarbeit (erster Linie), interner Qualitätssicherung und Methodenkontrolle (zweite Linie) sowie unabhängiger Evaluierung und Audit (dritte Linie). Durch diese Struktur sollen Verantwortlichkeiten klar zugewiesen und systematische Fehlerquellen frühzeitig erkannt werden.
Herausforderungen bei der Wirksamkeitsevaluierung
Nicht zuletzt geht die Studie auch auf die Schwierigkeiten bei der Messung der Aufsichtswirksamkeit ein. Anders als bei Kapitalquoten oder Liquiditätskennzahlen lassen sich qualitative Aspekte wie Kultur, Urteilsvermögen oder Eingriffsbereitschaft nicht objektiv messen. Dennoch werden in der Literatur verschiedene Ansätze diskutiert - etwa durch Peer Reviews, externe Gutachten oder retrospektive Analysen nach Bankenkrisen. Ziel bleibt es, die Aufsicht stetig weiterzuentwickeln, ohne in bloße Formalismen zu verfallen.
Aktuelle Herausforderungen
Trotz gestärkter regulatorsicher und aufsichtsrechtlicher Strukturen nach 2008 hat sich gezeigt: Systemrelevante Banken können weiterhin scheitern - siehe 2023 (z.B. Credit Suisse, regionale US-Banken).
Die Ursachen dafür sind vielfältig:
unzureichende Umsetzung von Frühwarnmechanismen,
fehlende Eingriffsbereitschaft trotz erkennbarer Schwächen,
neue technologische und geopolitische Risiken.
Forschungsbedarf: Sechs Themenfelder
Abschließend nennt die Publikation sechs Forschungsschwerpunkte, die künftig vertieft werden sollten:
Messung der Aufsichtswirksamkeit: Die Frage, wie sich die Wirksamkeit von Aufsicht konkret messen lässt, bleibt eine der größten Herausforderungen. Denn während regulatorische Anforderungen leicht durch Kennzahlen überwacht werden können, ist die Effektivität der Aufsicht schwer greifbar. Die Literatur nennt verschiedene Ansätze - etwa die Analyse von Eingriffen vor Krisen, dei Vergleichbarkeit von Aufsichtspraktiken über Länder hinweg oder die Wirkung von Aufsichtsmaßnahmen auf das Risikoverhalten der Banken. Auch qualitative Instrumente wie Peer Reviews, Umfragen unter beaufsichtigten Instituten oder retrospektive Bewertungen nach Bankenpleiten spielen zunehmend eine Rolle.
Rolle der Kultur in Aufsichtsbehörden: Eine zentrale Erkenntnis der Literatur ist, dass nicht nur bei Banken, sondern auch in Aufsichtsbehörden eine starke und reflektierte Risikokultur entscheidend für deren Wirksamkeit ist. Dazu zählen eine klare Verantwortungsstruktur, Transparenz in der Entscheidungsfindung, Fehlerkultur, sowie eine offene interne Kommunikation. Die Behörden müssen in der Lage sein, kritische Entwicklungen unabhängig zu bewerten und - wenn nötig - auch politischem oder wirtschaftlichem Druck standzuhalten. Die Kultur beeinflusst maßgeblich, ob bestehende Instrumente konsequent und wirksam eingesetzt werden.
Nutzung neuer Technologien: Technologische Innovationen bieten neue Chancen für die Aufsicht. Insbesondere der Einsatz von künstlicher Intelligenz und Machine Learning kann die Datenanalyse und Risikoidentifikation erheblich verbessern. "SupTech" (Supervisory Technology) soll Aufsichtsprozesse effizienter machen, etwa durch automatische Auswertung großer Datenmengen, Frühwarnsysteme oder Textanalysen von Geschäftsberichten. Die Literatur weist jedoch auch auf Herausforderungen hin: etwa auf das notwendige Fachwissen, ethische Fragen, den Schutz sensibler Daten und das Risiko technischer Fehleinschätzungen.
Governance und Unabhängigkeit: Die institutionelle Unabhängigkeit und Governance-Struktur von Aufsichstbehörden hat wesentlichen Einfluss auf deren Handlungsfähigkeit. Ein unabhängiger, gesetzlich verankerter Auftrag, ausreichende Ressourcen, ein transparenter Aufsichtsrahmen und eine wirksame Rechenschaftspflicht gegenüber Parlamenten und Öffentlichkeit sind entscheidend, damit die Aufsicht ihre Funktion unbeeinflusst erfüllen kann. Die Literatur verweist darauf, dass gerade in Krisenzeiten - etwa bei politischen Interessenkonflikten - strukturelle Schwächen schnell zum Problem werden können.
Zusammenspiel mit makroprudenzieller Aufsicht: Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass eine isoliderte mikroprudenzielle SIcht auf einzelne Insitute nicht ausreicht. Vielmehr ist eine enge Verzahlung mit der makroprudenziellen Aufsicht notwendig, um systemische Risiken rechtzeitig zu erkennen und übergreifende Maßnahmen zu koordinieren. Die Literatur fordert hier eine engere Abstimmung zwischen den Aufsichtsebenen, klare Rollenverteilungen und gemeinsame Informationssysteme. Auch die Frage, wie Krisenprävention und Krisenmanagement institutionell verbunden werden können, spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle.
Einfluss von Krisenerfahrungen auf die Aufsichtspraxis: Schließlich zeigt die Literatur, dass Krisenerfahrungen einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Aufsicht haben - sowohl positiv als auch negativ. Einerseits führen große Krisen wie 2008 oder 2023 oft zu Reformen, neuen Instrumenten und einem gestärkten Risikobewusstsein. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Aufsicht im Rückblick "die letzte Krise bekämft" und dabei neue Entwicklungen oder Risiken unterschätzt. Eine lernende Aufsicht muss deshalb Krisenerfahrungen systematsich auswerten, aber auch flexibel und vorausschauend agieren können.
💡Hinweis für kleinere Institute:
Auch wenn sich viele Studien auf große systemrelevante Banken konzentrieren, sind die Erkenntnisse über aufsichtliches Verhalten, Frühwarnsignale und Risikokultur auch für kleiner Insitute von Relevanz. Ein strukturierter Dialog mit der Aufsicht, der über reine Zahlen hinausgeht, gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Quelle / Eckdaten
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📅 Veröffentlichung | 17. Juli 2025 |
Herausgeber | Basel Committee on Banking Supervision (BCBS) |



