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ESAs-Herbstbericht 2025: Geopolitische Risiken und neue Herausforderungen für das EU-Finanzsystem

Die drei Europäischen Aufsichtsbehörden (EBA, EIOPA und ESMA) haben am 19. September 2025 ihren gemeinsamen Herbstbericht über Risiken und Verwundbarkeiten im EU-Finanzsystem veröffentlicht. Der Bericht warnt vor erheblichen Auswirkungen geopolitischer Spannungen und Handelskonflikte auf die Finanzstabilität der Union.

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Verschlechterung der Wirtschaftsaussichten durch geopolitische Spannungen

Die ESAs identifizieren strukturelle Veränderungen im globalen Handel und in der Sicherheitslage als Hauptrisikotreiber für die ersten Jahreshälfte 2025. Besonders die US-Zollankündigungen und deren internationale Reaktionen haben zu erhöhter Unsicherheit geführt. Die fortlaufenden Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten verstärken diese Entwicklungen zusätzlich.

Auswirkungen auf Wachstumsprognosen:

  • IWF senkte globale Wachstumsschätzungen für 2025 auf 2,8% (zuvor 3,3%)

  • EU-Wachstum für 2025 wurde auf 1,1% reduziert (Rückgang um 0,4 Prozentpunkte)

  • Divergenz zwischen EU- und US-Geldpolitik mit unterschiedlichen Zinsentscheidungen

  • EZB senkte Zinsen um 25 Basispunkte, Fed hielt Zinsen unverändert

Die Europäische Kommission revidierte ihre Wachstumsprognosen nach unten, wobei anhaltende Unsicherheit als Hauptgrund identifiziert wurde.

Resiliente Finanzbranche trotz herausfordernder Bedingungen

Trotz der schwierigen geopolitischen Lage zeigt sich das europäische Finanzsystem widerstandsfähig. Die verschiedenen Sektoren weisen unterschiedliche, aber grundsätzlich solide Entwicklungen auf.

Bankensektor:

  • Eigenkapitalrendite von 10,5% zum Jahresende 2024

  • CET1-Ratio bei stabilen 16,0%

  • Notleidende Kredite (NPL) bei niedrigen 1,9%

  • Bilanzsumme wuchs um 3,2% auf EUR 28,2 Billionen

Versicherungsbranche:

  • Verbesserung der Rentabilität durch starke Anlagerenditen

  • Angemessene Kapitalisierung zur Bewältigung von Marktturbulenzen

  • Stabilisierung der Zinssätze führt zu möglichem Höhepunkt der Stornorisiken

Pensionsfonds:

  • Leichte Verbesserung der Finanzlage durch Vermögenswachstum

  • Herausforderung durch Übergang von leitstungs- zu beitragsbezogenen Systemen

  • Überwachung der Liquiditätspositionen erforderlich

Sektorale Auswirkungen der US-Zölle

Die angekündigten US-Zölle haben unterschiedliche Auswirkungen auf einzelne Wirtschaftssektoren. Die Analysen zeigen, dass besonders exportorientierte Branchen betroffen sind.

Am stärksten betroffene Exportsektoren:

  • Pharmazeutische Produkte

  • Maschinen und Anlagen

  • Fahrzeuge und Fahrzeugteile

  • Elektrotechnik

  • Organische Chemikalien

Diese fünf Kategorien machen über 55% der EU-Exporte in die USA aus und fallen hauptsächlich unter den Fertigungsbereich. EU-Banken haben Kredite von fast EUR 1 Billion an den Fertigungssektor vergeben, was indirekte Risiken für die Kreditqualität bergen könnte.

Marktreaktionen:

  • Sprung der europäischen Unternehmensanleihe-Spreads um 30% in der Woche bis 9. April

  • Besonders hohe Volatilität bei High-Yield-Anleihen (+25%)

  • Sektorale Unterschiede: Energie (-20%), Versicherungen (-11%), Banken (-17%)

Zentrale Empfehlungen der ESAs

Die Aufsichtsbehörden formulieren fünf Kernempfehlungen für nationale Aufsichtsbehörden, Finanzinstitute und Marktteilnehmer:

Integration geopolitischer Risiken

  • Berücksichtigung in täglichen Geschäftsprozessen und Risikobewertungen

  • Überwachung von Abhängigkeiten von Märkten und Dienstleistern außerhalb der EU

  • Sicherstellung des kontinuierlichen Zugangs zu Marktinfrastrukturen

Szenarioplanung und Stresstest:

  • Vorbereitung auf kurz- und mittelfristige Herausforderungen bei hoher Unsicherheit

  • Angemessene Risikovorsorge und vorausschauende Bereitstellungspolitik

  • Stresstests der Liquiditätspositionen

Cybersicherheit und operative Resilienz:

  • Verschärfte Wachsamkeit gegenüber Cyber- und operationellen Risiken

  • Berücksichtigung der Konzentration bei IT-Drittanbietern

  • Vollständige Umsetzung des DORA-Frameworks

Überwachung von Kryptowährungs-Risiken:

  • Beobachtung wachsender Verflechtungen zwischen Krypto- und traditionellen Finanzmärkten

  • Monitoring von Ansteckungsrisiken bei Marktexpansion

Unterstützung bei Spar- und Investitionsunion:

  • Aktive Rolle bei der Förderung der EU-Initiative

  • Berücksichtigung von Liquiditäts- und Risikoprofilen alternativer Investments

  • Aufbau von Verbrauchervertrauen durch solide Aufsicht

Abhängigkeiten von Drittstaaten-Infrastrukturen

Ein besonderer Fokus liegt auf den Abhängigkeiten des EU-Finanzsystems von Infrastrukturen außerhalb der Union. Diese Verflechtungen bergen systemische Risiken.

Kritische Abhängigkeiten

  • 98% der Clearings von EU-Währungs-Derivaten erfolgt über zwei US-amerikanische CCPs

  • 60% der EU-Banken nutzen Clearing- und Settlement-Services von Nicht-EU-Anbietern

  • 73% der EU-Schuldtitel werden von US-amerikanischen Ratingagenturen bewertet

  • Drei US-Cloud-Anbieter kontrollieren 63% des globalen Marktanteils

Diese Konzentration verstärkt die Argumente für eine größere EU-Autonomie in den Finanzmärkten und unterstreicht die Bedeutung einer robusten europäischen Finanzinfrastruktur.

Auswirkungen erhöhter Verteidigungsausgaben

Parallel zu den Handelsrisiken führen auch die geplanten Erhöhungen der Verteidigungsausgaben zu Marktbewegungen. Deutschland hat verfassungsrechtliche Änderungen zur Finanzierung von Infrastruktur- und Verteidigungsinvestitionen in Höhe von EUR 1 Billion beschlossen.

Marktreaktionen auf Verteidigungsausgaben:

  • EU-Verteidigungsaktien steigen seit Jahresbeginn um 30%

  • Deutsche Staatsanleihen-Renditen steigen am 5. März um 30 Basispunkte

  • Fünf ETFs mit über 15% Anteil an EU-Verteidigungsunternehmen

  • EUR 2,9 Milliarden Zuflüsse in entsprechende Fonds seit Februar 2025

💡 Hinweis für Banken:

Geopolitische Risiken sollten systematisch in die Risikomanagement-Prozesse integriert werden. Dabei ist besonders auf Konzentrationen in handelsabhängigen Sektoren zu achten. Die Liquiditätsplanung sollte verschiedene Stressszenarien berücksichtigen, insbesondere bei Fremwährungsexposures. Cybersicherheit und operative Resilienz erfordern verstärkte Aufmerksamkeit, wobei die DORA-Anforderungen vollständig umzusetzen sind. Bei der Kreditvergabe an exportorientierte Unternehmen sollten mögliche Auswirkungen von Handelskonflikten in die Risikobewertung einbezogen werden.

Quelle / Eckdaten

👉 Link zum Dokument

📅 Veröffentlichung

19. September 2025

Art des Dokuments

Bericht

Herausgeber

European Supervisory Authorities (EBA, EIOPA,ESMA)

⚖️ Rechtsgrundlage

Joint Committee der ESAs

Adressaten

Nationale Aufsichtsbehörden, Finanzinstitute, Marktteilnehmer

Status

Bericht/Empfehlung

📅 Datum Erstanwendung

Sofort wirksam (Empfehlungscharakter)


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